Quo vadis, Helvetia?
Wie soll das bloss weitergehen mit diesem Land? Die Abstimmungsergebnisse, insbesondere die Annahme der Volksinitiative fuer eine gentechfreie Landwirtschaft, verdeutlichen wieder einmal, was unsereins schon lange befuerchtet...
Es ist kein Wunder, dass ein ungenuegend aufgeklaertes Volk blind derart technologie-
und fortschrittsfeindlichem ideologischen Unsinn und Aberglauben erliegt,
ist bei weitem nicht das erste Mal in der Geschichte (man vergleiche hierzu z.B. auch die Kernenergieproblematik). Dass ein unaufgeklaerter Stimmbuerger nicht in der Lage ist, die Thematik und Probleme ebenjener Gentechnologie zu erfassen und damit die Vorteile und Risiken ueberhaupt abschaetzen zu koennen, die damit verbunden sind (hier koennte beliebig auch Kerntechnologie stehen...) ist eine Sache - aber bemueht sich denn ernsthaft jemand darum, an diesem Zustand etwas zu aendern?
Tragisch ist, dass das Verhindern in unserm Land zum politischen Normalfall geworden ist und insbesondere Volksabstimmungen selten vorwaertsgerichtet sind sondern zumeist vielmehr versuchen, eine Aenderung des status quo in richtung fortschritt zu verhindern oder gar zurueckzuschreiten.
Nicht nur die klassischen rechtskonservativen Parteien (insbesondere die SVP), sondern auch deren Antagonisten in der linken Parteienlandschaft haben in den letzten Jahren nicht mehr viel Konstruktives in die politische Diskussion miteingebracht. Waehrend rechts die Parolen ansatzweise vereinfachend unter "Landschaftsschutz" (in einem nationalen Sinn), "Erhaltung des Gewerbes und des Bauerntums" (INSBESONDERE des Bauerntums!) oder "Gesellschaftlicher Werterhalt" zusammengefasst werden koennten, schreit unsere Linke mehr oder weniger explizit und direkt nach "Stopp dem Sozialabbau" (verbunden mit der irrealistischen Forderung nach Sozialausbau), "Stopp der Wirtschaft" (hohe Steuern sind gut...), "Stopp dem Reichtum" (...insbesondere fuer die Reichen), "Stopp der Forschung". Hie und da finden sogar oekologische Themen den Einzug in die Politarena, und die letzten Wegweisenden Projekte (und sei es auch nur der Bau eines Baumarktes oder eines Stadions) fallen in blinder Raserei einem ueberstrapazierten Umweltbewusstsein zum Opfer... Was die verarmten Mitteparteien spaerlich an konstruktiven Vorschlaegen einbringen scheitert regelmaessig an einer unheiligen Rechts-Links-Verhinderungs-Allianz.
Vielleicht ist unser foederalistisch und pluralistisch ausgerichtetes Staats- und
Regierungsmodell tatsaechlich ueberholt [Stadt-Land] und unser
Demokratieverstaendnis [Mehrparteienkollegialitaetsprinzip] tiefgruendig reformbeduerftig: jeglicher
Fortschritts- und Oeffnungsgedanke erliegt sofort enormem
ideologischem Widerstand auf breiter [und unzusammenhaengender] Front. Was frueher zur Stabilitaet und zu einer gemaessigten und gesunden Entwicklung unseres kleinen Landes beigetragen hat erweist sich heute nur noch (bestenfalls) als Bremsklotz. Dummerweise wirkt diese "Last" heute nicht mehr nur aufstiegshemmend, sondern beschleunigt bereits unseren Fall.
Der beobachtete Widerstand leitet sich oft nicht aus langfristigen durchdachten Abschaetzungen im Sinne eines gesellschaftlichen "Gemeinschaftswohls" ab, sondern ist
direkter Ausdruck von Partikularinteressen: Oekofritze die glauben, eine Gentechtomate mache uns alle zu Mutanten [und wir deshalb ALLE keine solchen essen duerfen] und Bauern die fuerchten, bald schon sechsbeinige Schweinchen in ihrem Stall zu haben [obwohl weder die Forschung noch die Konsumenten je ein Interesse daran haben werden]... Stattdessen essen wir lieber unreife ueberteuerte Biotomaten und konventionell kastrierte Mastferkel, schliesslich hat das ja jahrelang so funktioniert und kaum jemand hat was gesagt.
Wer aber glaubt, die Welternaehrungslage liesse sich mit 2-mal-Weihnachten-Paeckli entspannen hat's nicht gecheckt, in Indien, Fernost und Afrika koennten ertrags- und naehrwertgesteigerte Grundnahrungsmittel bedeutend viel mehr ausrichten. Viele Studien beweisen das und gerade Indien arbeitet mit Nachdruck an der biotechnologisch unterstuetzten Entwicklung neuer verbesserter Pflanzensorten, insbesondere Kartoffeln, Reis und Bananen. Nur ist der Stimmbuerger ziemlich schizophren, wenn er Schokolade von der Lilakuh mit unzaehligen E-Stoffen isst aber andern die schaedlingsresistente Kartoffeln verteufelt, lieber Centrum und was-weiss-ich fuer Zusatzstoffe schluckt statt vitamin-angereicherten Reis zu entwickeln und und und.
Und schliesslich vergisst manch einer, dass unsere Agrarwirtschaft und Kueche seit Beginn mit biotechnologischen Methoden gearbeitet hat, bloss ohne zu wissen was im Detail geschieht. Lange Zeit wurden neue Pflanzensorten entwickelt, indem man Keimzellen mit UV-Licht oder Roentgenstrahlen gezielt beschaedigt hat und damit ungezielt im Erbgut Verwuestung angerichtet hat. Heute haben wir die Moeglichkeiten, Mutationen nicht mit Hilfe einer Schrotflinte sondern mit mehr und mehr praezisen Methoden gerichtet hervorzurufen, unter intensiven Abklaerungen und Vergleichen. Warum sollte die (durchaus weiterhin praktizierte weil nicht als Gentechnik eingestufte) Casino-Variante gesuendere (!) Resultate liefern als eine gezielt herbeigefuehrte Punktmodifikation? Eben!
Warum sollte heute in der Schweiz jemand im Energie oder Genbereich teure
und aufwaendige Forschung betreiben, vor dem Hintergrund, mindestens kurz-
bis mittelfristig keine Moeglichkeit zur konkreten Umsetzung zu haben? Denn die
Technologiefeindlichkeit projiziert sich immediat auf die forschung und das
forschungsfeindliche Klima greift schnell einmal auf andere Zweige ueber; die Schweiz steigt definitif in die zweite Liga ab. Sich diesen Forschungsbereichen [Biotechnologie, Stammzellforschung, Nuklear- und Teilchenphysik]mit enormem Potenzial zu verschliessen ist straeflich und irgendwo verdient ein solches Volk auch nicht viel mehr als die Rueckkehr zur Dreifelderwirtschaft... Die Forschung wird so oder so stattfinden, mit oder ohne uns. Wenn die Schweiz, immerhin ein Land mit bisher anerkannten hohen intellektuellen Leistungen und einem gesunden ethischen und moralischen Selbstverstaendnis in der Forschung, intakter Selbstkontrolle, intensiver Aufsicht und nicht zuletzt einer transparenten und vielfaeltigen Medienlandschaft, sich dieser Forschung nicht annimmt [und eine positive Fuehrungsrolle uebernimmt?], werden das andere fuer uns tun. Moeglicherweise Laender mit lueckenhaften oder fehlenden Kontrollmechanismen und zweifelhafter Einstellung zur Forschung... Die Klon-Debatte hat das zur Genuege bewiesen.
Ein Land, das sich so vehement gegen das eigene Wohlergehen stemmt, hat schon viel zu lange an der Sonne gelegen!